ACO Amateur Schachweltmeisterschaft 2019 auf Rhodos

Ein Teilnehmerbericht von Dieter Bauer

19. May 2019
von Dieter Bauer

Vom 21.4.2019 bis 28.4.2019 fand auf der viertgrößten griechischen Insel Rhodos zum 8. Mal die ACO ( Amateur Chess Organization) - WM statt. Das Turnier wird in 7 Ratinggruppen - abgestuft je 200 ELO - in 9 Runden Schweizer System ausgetragen. In diesem Jahr nahmen 284 Spieler aus 28 Ländern teil. Der Austragungsort war das wunderschöne Hotel Sheraton Resort im Norden der Insel in der Nähe des Touristenzieles Rhodos - Stadt.

Die Mitarbeiter dieses Hotels waren immer freundlich und zuvorkommend. Bereits bei der Ankunft wurden wir so herzlich begrüßt, wie man es sonst allenfalls bei Dauergästen kennt(die Formulierung “wir” wurde benutzt, da noch zwei Begleitpersonen als “Fanclub” mitgekommen waren, nämlich der Bruder mit Lebensgefährtin. Dank der ACO genossen diese wie alle Begleitungen die gleichen Vorzüge z.B. in Bezug auf reduzierte Getränkepreise wie die “Aktiven”). Bei der Suche nach meinem Koffer wurde ich informiert, dass dieser von “unsichtbaren Kräften” schon längst auf das Zimmer gebracht wurde. Kurzum: das Preis-Leistungs-Verhältnis war mehr als “nur” angemessen. Bei diesem Thema sind natürlich auch die für Spieler und Begleitpersonen gebührenfreien Vorträge der beiden Großmeister Zigurds Lanka und Spyridon Skembris zu erwähnen, die in Auszügen auch über das Videoportal “YouTube” zum nachträglichen Abspielen mit guter Ton- und Bildqualität zu sehen sind. Ein weiterer Fingerzeig für die Tatsache, mit welchem Einsatz und Leidenschaft das Orga-Team um die Familie Hirneise -Lothar, Jens und Tobias- und Falko Bindrich vorgeht, um alle Teilnehmer mehr als zufriedenzustellen. Es war alles toll organisiert, so gab es freie Analysen, Blitzturniere, Simultanveranstaltungen, einen Tagesausflug zu den Sehenswürdigkeiten der Insel und vieles mehr. Ich war jetzt 6 Mal bei der ACO-WM und bin immer wieder gefangen von dem unvergleichlichen Flair, den diese Veranstaltung mit sich bringt.

Jüngster Teilnehmer war Filip Ochedzan aus Polen 7 Jahre alt, der älteste Spieler war Manfred Kunze vom SV Motor Hainichen 1949 mit 88 Jahren. Die weitesten Anreisen mit jeweils mehr als 12000 km hatten Dr. Daniel Chan aus Argentinien sowie Daniel Yarur aus Chile. Der Frauenanteil lag mit knapp 10 % über dem Durchschnitt. Gäste aus Norwegen haben sogar schon eine ACO-Facebook-Gruppe gegründet, nicht nur aus meiner Sicht sicherlich eine Art “ACO-Fanclub”. Der “Umzug” von Kos 2018 nach Rhodos und die zeitliche Verschiebung von Mai in den April tat der Begeisterung der Teilnehmer keinen Abbruch. Bei mir wurden dadurch im Gegenteil wunderschöne Erinnerungen wachgeküsst, weil ich 2014 im nahegelegenen Faliraki meinen bisher größten schachlichen Erfolg feiern durfte. Auch in diesem Jahr spornte mich das einzigartige Flair zu sportlichen Höchstleistungen an. Der Zufall oder das Schicksal wollte es so, dass ich in der letzten Runde mit 6 aus 8 in der D-Gruppe ausgerechnet gegen Yi Lin anzutreten hatte. Und dieser kam mit seiner Familie aufgrund diverser positiver Erwähnungen der ACO-Turnierserie durch mich überhaupt nach Rhodos! Es war im Vorfeld klar, dass ein Remis wohl keinem so richtig weiterhelfen würde und daher entwickelte sich eine packende Partie, die erst im tiefen Endspiel mit Yi seinen verdienten (ACO-Vizewelt-)Meister fand. Mit einer Niederlage kann man besser umgehen, wenn man mit seinem Gegner einen “guten Draht” hat und wir beide auch noch Fan desselben Bundesligaclubs sind! Sieger der D-Gruppe wurde der Engländer John Wood aus England mit 7,5 Punkten. Die vorne Platzierten der jeweiligen Gruppen sind an anderer Stelle dieses Abschnitts der Rochade erwähnt. Im Partienteil finden Sie auch eine Partie des Berichterstatters. Dabei geht es aber nicht um die bereits zitierte 9. Runde, sondern eine Runde zuvor. Auch da hatten beide Spieler Lust, nach Beendigung der Partie noch fast zwei Stunden miteinander die gespielten Züge zu analysieren! Dieses Phänomen reizt mich besonders an den ACO-Turnieren, denn aus meiner Sicht ist nicht das Endspiel oder Mittelspiel oder die Eröffnung der wichtigste Teil der Partie, sondern die anschließende Analyse mit seinem Gegner! Wie oft sieht man es bei 5-rundigen Turnieren oder Mannschaftskämpfen (wo zugegeben auch die freie Zeit knapper ist), dass die Klötzchen gleich nach Aufgabe zurück ins Kästchen wandern und die Protagonisten in alle Himmelsrichtungen wortlos auseinanderlaufen! Auch so werden leichtfertig Chancen vertan, sich im Schach weiterzuentwickeln.

Bauer, Dieter (GER) gegen Robert Letton (ENG), Runde 8 am 27.4.2019, Brett 4

Vorbemerkung: herzlichen Dank an die Publikationen von Rochadeautor IM Jonathan (Jonny) Carlstedt vom Hamburger SK, der dafür gesorgt hat, dass ich meine alte Liebe -die englische Eröffnung- wiederentdeckt habe (neuerdings gibt es sogar kurze Videos mit IM Lubbe zu 1. c4). Dank Jonny wusste ich, dass ich bei den schwarzen Anfangszügen meines Gegners auf keinen Fall ein schnelles Sc3 spielen darf. Früher fiel ich oft auf diesen “Fehler” herein und wunderte mich immer, warum ich nach d5-d4 (mit Tempo!) so schlecht aus der Eröffnung komme…….

Herzlichen Dank auch an meinen Vereinskameraden Michael Ziegler, gegen den ich bei der Stuttgarter Stadtmeisterschaft vor etlichen Jahren bis 3…..d5 dieselbe Zugfolge hatte. Damals antwortete ich relativ zügig mit 4. b3?, worauf Michael schön erkannte, dass trotz sehr frühem Partiestadium bereits taktische Motive vorhanden sind. Es kam 4…..dxc 5. bxc Dd4 mit Doppelangriff. Weiss hat zwar eine “Minikompensation” wegen der zunächst exponierten Dame, aber das materielle Defizit wiegt schwer. Aber warum bedanke ich mich nachträglich für das Ausnutzen des taktischen Motivs, welches mich damals wie einen Nadelstich traf? Ganz einfach, weil das Motiv mich bei weitaus wichtigeren Wettbewerben -wie einem Mannschaftskampf oder der ACO-WM- nicht mehr treffen kann, denn es hat sich in meinen Kopf eingebrannt. Heutzutage spiele ich also immer den richtigen Zug 4. Sf3, um das (Damen-)feld d4 zu decken und dann kann bei Bedarf später immer noch b2-b3 gespielt werden.

  1. c4 e6 2. g3 Sf6 3.Lg2 d5 4. Sf3 Sbd7 5.b3 c6 6.Lb2 Dc7?!
Stellung nach 6…Dc7!?
Stellung nach 6…Dc7!?

sieht etwas unnatürlich aus. Warum nicht zunächst die “normalen” Züge wie Le7 zur Vorbereitung der Rochade? Ich war jedenfalls beruhigt, dass Schwarz wegen dem Zug c6 offenbar nicht vor hatte, den Läufer auf b2 “einzukeilen” (durch schwarzen Bauernkeil c5, d4 und womöglich noch e5). Der Lb2 hätte dann nämlich zu Jaulen angefangen. 7.0-0 Lb4 siehe Text bei Zugpaar Nr. 6 8. d3 0-0 9.Sbd2 e5 10.cxd Sxd5 besser war in jedem Fall mit cxd ein schwarzes Bauernduo zu errichten, aber mein Gegner hatte offenbar erhofft, aus einem auf c3 auftauchenden Springer Kapital zu schlagen. Aber die Komplikationen sind eher für weiss günstig. Im Nachhinein kann man solche Feststellungen natürlich immer locker treffen, aber der unfassbare Druck während einer 4-5-stündigen Turnierpartie bringt es mit sich, dass man ständig in Sorge ist. Landet in einer Blitzpartie ein gegnerischer Springer recht früh auf c3 im eigenen Lager, kann man das recht locker sehen, denn im Fall einer Niederlage hat man nur einige Minuten seiner Lebenszeit “geopfert”. Ganz anders sieht es bei einer Turnierpartie aus, denn solche Niederlagen schmerzen naturgemäß um ein Vielfaches.

Stellung nach 10…Sxd5
Stellung nach 10…Sxd5

Ein schwarzes Bauernduo hätte die angenehme Folge gehabt, dass auf nachfolgendes weisses d4? e4 folgen kann und auf weisses e3-e4 folgt schwarzes d5-d4 und weiss hat seinen leichten Vorteil verspielt und steht gar schlechter. 11. d4 die Mehrzahl der schwarzen Figuren steht “unsortiert”, also schnell die Stellung öffnen. 11…..Sc3 12. De1 Se4 13. a3 ich wollte eine schnelle Klärung der Lage Lc3 14.Lxc3 Sxc3 15. Sc4 der Springer auf c3 steht ohnehin auf “tönernen Füßen” , muss also nicht direkt angegriffen werden; erst mal den eigenen Springer auf c4 in eine bessere Position bringen, um die Krakenarme weit auszustrecken. 15…..exd 16. Sxd4 Sd5 17.Tc1 S7f6 18. b4

Stellung nach 18. b4
Stellung nach 18. b4

hier hätten wohl ca. 90 % der Schachspieler e2-e4 mit Tempo gespielt, zumal nach weiterem e4-e5 mal ein hübsches Springerfeld auf d6 winken könnte. Weiterhin wäre es ein schöner Anfang, die eigene 4:3-Mehrheit in Bewegung zu setzen. Ich entschied mich aber für einen ebenfalls stellungsgerechten Minoritätsangriff. Immer im Hinterkopf, dass der Lg2 diese Idee mit Begeisterung begrüßt…..18…..Td8 19.e3 immer schön alles gedeckt halten, der Springer auf d4 war die einzig ungedeckte Figur. Nach der Partie beklagte sich mein Gegner immer wieder bei mir (halb im Ernst, halb im Scherz), ich hätte ihm ja gar keine Angriffsfläche gegeben. Ja, das stimmt. Aber meines Erachtens muss man in besserer Stellung genau so spielen: dem Gegenüber die Lust am Spiel nehmen. Wie verzweifelt ist / wird man, wenn es nichts anzugreifen gibt? Das wollte ich testen. 19….De7 20.Sa5

Stellung nach 20. Sa5
Stellung nach 20. Sa5

Jaaaa, es ist geschafft! Mein absolutes Lieblingsmotiv ist auf dem Brett, der Treppenspringer (diese Motiv bewog mich unter anderem, den Springer davor auf das Feld c4 zu ziehen). Keine Ahnung, warum dieses positionelle Manöver in der neuzeitlichen Schachliteratur so stiefmütterlich behandelt wird. Der Springer drückt auf beide Treppenstufen, die von den Bauern b7 und c6 gebildet werden und er ist selber unantastbar und der Läufer auf c8 will ja auch irgendwann mal ziehen. 20. Td6 21.Tc2 Lg4 22.Dc1 sogenannter “Mufu-Zug” (Multifunktionszug). Er verstärkt den Druck auf der c-Linie und verhindert prophylaktisch im Vorfeld etwaige Opfergedanken des Gegenüber auf e3, bevor diese überhaupt anfangen zu reifen…… 22…..Te8 23. Te1 eine Unaufmerksamkeit von mir, dem Gegner eine Taktik zu erlauben mit Sxb4 axb4 und Txd4 und Öffnung der e-Linie. Zum Glück hat es mein Kontrahent nicht gesehen. Und es kam noch schlimmer für ihn. Anstatt wieder im Spiel zu sein, kam der Verlustzug 23…..Dd7.

Stellung nach 23…Dd7
Stellung nach 23…Dd7

Er würdigte offenbar nicht, dass Treppenspringer auch rückwärts traben können…..24. Sc4 Te6 25.Sxe6 Dxe6 26.Sa5 die Höchststrafe! Bei diesem Zug musste ich schmunzeln, denn mir fiel prompt die Bezeichnung der Real Madrid-Fans für den “Angstgegner” Bayern München ein, nämlich “La Bestia Negra” (die schwarze Bestie). Sieht der Springer auf a5 nicht aus wie eine “Bestia Negra”? Der Tausendsassa paralysiert einen Teil der schwarzen Armee. Mal wieder ein Beweis, wie sensibel man beim Schachunterricht mit Anfängern mit Pauschalurteilen (“z.B. Springer am Rand eine Schand”, “immer” schnell rochieren usw.) umgehen muss. 26….Lh3 . Der Gegner hatte wohl genug von der Nervensäge auf a5 und ignoriert einfach seine Drohungen. Der englische Schachfreund versucht nun mittels Königsangriff alles auf die letzte Karte zu setzen. Um die Brechstange auspacken zu können, muss zunächst der Läufer auf g2 abgetauscht werden. Die Lage ist so verfahren, dass bereits Bereitschaft besteht, für einen vermeintlichen “Königsangriff” den ein oder anderen Bauern zu “opfern”. Die Sache hat nur zwei (freilich entscheidende) Haken: zum einen sind Opfer regelmäßig freiwillig und zum anderen muss ein Königsangriff auch realistisch sein. Es hilft z.B. nicht, wenn man angreift, weil man gerade Lust darauf hat. Bei der vorliegenden Partie ging es zwar nicht um Lust, aber auch nach Tausch auf g2 war jederzeit eine solide Verteidigung mit Schwerfiguren auf der zweiten Reihe durch einen Zug des f-Bauern möglich. 27. Sxb7 Lxg2 28. Kxg2 De4 Schach 29. Kg1 Df3 30.Dd1 Df5 31.Sd6 1:0